Die Serie von Selbstportraits ABETTERI ist ein Spiel, in dem Johannes Gramm die Karten vom fotografischen Selbstbildnis neu gemischt hat. König, Bube, Dame und deren Attribute - Stärker, Schöner, Jünger - werden durchdekliniert und facettenreich ausgebreitet. Von brutal bis lädiert, gezeichnet, tätowiert und gepierct erscheinen die Könige, die ihre aufrechte und selbstbewußte Stellung nicht aufgeben. Die Frontalität behalten auch die anderen Figurentypen bei, aber sie verändert sich. Die Damen, die ihre Blöße nur halb verdecken können, blicken milder und die angehobenen Schultern sprechen von einer sich selbst schützenden Haltung. Die jüngeren Buben tragen außer ihren fragenden, unbedarften Gesichtszügen Frisuren, die in Kombination mit den Gesichtszügen nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Sie sind noch unversehrt, aber wohl zu allem entschlossen.
Fotografische Selbstportraits als Ort der Inszenierung, bei denen das Verwandeln vor der Kamera zu einem Suchen und einer Art Neudefinition der eigenen Person wird, hat Tradition in der Geschichte der Fotografie. Die Bauhauskünstlerin Gertrud Arndt (1903 – 2000) erprobt Rollen und Muster des weiblichen Ausdrucks, indem sie sich mit aufwendigen Spitzen, Stoffen und Hüten verkleidete. In der Serie von 1930 wird sie das naive, puppenhafte Mädchen, die mondäne Verführerin, die geheimnisvolle Schöne oder die strenge Beobachterin. Die französische Künstlerin Claude Cahun (1894 – 1954) ist zugleich Schauspielerin, Fotografin und Schriftstellerin und inszeniert rund vier Jahrzehnte Rollenmuster und Positionen vor der Kamera, experimentiert mit sich und den Möglichkeiten der Fotografie.
Johannes Gramm verfolgt eine vergleichbare Strategie. Er beschränkt sich nicht auf das Spiel mit Verkleidungen, sondern der Künstler rückt seinem eigenen Körper bildnerisch zu Leibe. Der König trägt bei ihm weder Krone noch Zepter, sondern Blessuren, als Verkörperung von Kraft und Stärke. Und er setzt auf die Wirkungsmacht von tätowierten Symbolen, auf Slogans wie Love and Hate und dem nach außen getragenem Schmerzempfinden. Kleider machen Leute, auch in unserer heutigen Gesellschaft, aber neben den allgemeingültigen Dresscodes, ist der manipulierte Körper mehr denn je zum Ausdruckmedium der Selbstdefinition geworden. Und der Weg über die Kamera erlaubt den Schritt zum Rollentausch der Geschlechter oder der Generationen. Dabei gibt Johannes Gramm aber nie vor, jemand anderes zu sein als er selbst – die Fotografie zeigt es uns, wahrheitsliebend wie sie ist. Bei ihm bleibt es ein Spiel, bei dem man Glück oder Pech haben kann. Und die Frage, was echt oder erfunden ist, spielt bei der Betrachtung der Bilder nur eine untergeordnete Rolle, denn es gilt viel mehr, das Bild als ein solches wahrzunehmen.
von Chrstiane Kuhlmann |
The ABETTERI series of self portraits is a game in which Johannes Gramm has reshuffled the cards of the photographic self image. King, Queen, and Jack, and their attributes – strength, beauty, youth – are gone through in every aspect, and unfurled in every facet. In states between brutal and battered, the kings appear drawn, tattooed and pierced, without abdicating their upright and self-confident bearing. The other archetypes also maintain their frontality, but they change. The Queens, who are able only to half cover their nakedness, have a gentler gaze, and the raised shoulders speak of a self-protective posture. In addition to their questioning, naive facial expressions, the younger Jacks have haircuts which in combination with their features are neither clearly male nor female. They are still undamaged, but certainly resolute to everything.
In the history of photography, there is a tradition of photographic self portraits as the location for a mise-en-scène in which the metamorphosis in front of the camera becomes a search and type of redefinition of one’s own persona. The Bauhaus artist Gertrud Arndt (1903 – 2000) attempted roles and examples of female expression, through dressing herself in elaborate laces, fabrics, and hats. In the 1930 series, she becomes the naïve doll-like girl, the worldly seductress, the secretive beauty, or the strict observer. The French artist Claude Cahun (1894 – 1954) was simultaneously an actress, photographer, and writer, and for four decades she created role models and poses in front of the camera, experimented with herself and with the possibilities of photography.
Johannes Gramm follows a comparable strategy. He does not restrict himself to experimentation with clothes, but instead the artist works graphically with his own body. With him, the King bears neither a crown nor a sceptre; instead, as the embodiment of power and strength, he has wounds. And he avails of the effectiveness of tattooed symbols, of slogans like ‘Love’ and ‘Hate’, and of the outwardly worn experience of pain. Clothes make the man, even in our society today, but apart from the general dress code, the body which has been manipulated has become more than ever the expressive medium of self-definition. And the path via the camera allows the step to be made to the role change of the sexes or of the generations. Here however, Johannes Gramm never pretends to be anyone other than himself – photography shows us this because it loves the truth. For him, it remains a game in which one can have good or bad luck. And the question, ‘What is true and what is made up?’ has only a subordinate role when viewing the pictures, because it is much more important to perceive the image for what it is.
by Christiane Kuhlmann |